Kassel braucht weiterhin ein soziales Zentrum

Die Besetzung der Villa Rühl in der Mönchebergstraße in Kassel endetet noch in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni, nachdem die Uni eine sofortige Räumung veranlasst hatte. Mehrere Aktivist*innen hatten sich Zutritt zum Gebäude verschafft, um dort mit dem Aufbau eines sozialen Zentrums zu beginnen. An der Forderung nach einem selbstorganisierten Freiraum in der Stadt halten sie weiter fest.

Über soziale Netzwerke verbreitete sich in Kassel am gestrigen Mittwochabend die Nachricht, dass die Villa Rühl wieder besetzt wurde. „Endlich, wieder, back again“, hieß es auf Twitter. Mit der Aktion sollte wieder ein soziales Zentrum in Kassel entstehen; ein Ort für Initiativen und Gruppen, die politisch und/oder kulturell aktiv sind, die sich vernetzen wollen und nicht-kommerzielle Angebote für alle schaffen wollen. Dass die Villa Rühl sich für ein solches Anliegen hervorragend eignet, hatten Aktivist*innen bereits vor fünf Jahren gezeigt. Zwei Wochen lang entstand in „Unserer Villa“ eine selbstorganisierte Infrastruktur mit vielfältigem Programm. Das Projekt erhielt damals viel Unterstützung, nicht nur von Aktivist*innen, sondern auch von Nachbar*innen und Uni-Mitgliedern. Nichts desto trotz stellte die Universität Strafanzeige und ließ das Gebäude räumen.

Was 2017 immerhin zwei Wochen hielt, wurde dieses Mal direkt im Keim erstickt: Die Uni stellte noch am Abend der Besetzung Strafanzeige. Den Besetzer*innen drohten somit die polizeiliche Räumung und anschließende Repression. „Es scheint fast so, als hätte die Uni sich darauf vorbereitet, dass so etwas wie ”Unsere Villa” nicht noch einmal entstehen kann“, kommentiert Pressesprecherin Romy Freimuth. „Dabei war dieses Gebäude in den letzten Jahren komplett ungenutzt.” Wie das Campus Radio berichtete, hat die Uni auf eine Anfrage im März 2022, welche Maßnahmen in dem Gebäude geplant seien und welcher Fachbereich dort einziehen solle, bis heute nicht geantwortet. Romy Freimuth: „Vor fünf Jahren hat die Uni vollmundig erklärt, wie dringend sie diese Räume braucht. Und was ist passiert? Nichts. Das kann einfach nicht sein!“

Dieser Meinung waren auch die rund 100 Menschen, die sich in der Mönchebergstraße versammelten, um die Villa-Besetzung zu unterstützen. Mit Musik, einer Küche für alle und solidarischen Gesängen füllten sie die Straße. „Es ist ein Skandal, dass solche Häuser in unserer Stadt leer stehen, obwohl dringend Räume für unkommerzielle und selbstorganisierte Projekte gebraucht werden. Wir sollten uns die Räume nehmen, die wir brauchen, denn für uns sind sie da!“, so Romy Freimuth.

Nach Verhandlungen mit der Universität entschieden sich die Aktivist*innen in der Nacht, das Gebäude zu verlassen, um die beteiligten Personen vor Repressionen zu schützen. Die Uni verzichtete darauf, einen Strafantrag zu stellen – das heißt, eine gerichtliche Verfolgung konnte so verhindert werden. An ihrer Forderung wollen die Aktivist*innen weiterhin festhalten. Das zeigten sie mit einer spontanen Demonstration von der Villa Rühl zum Café Desasta, das aktuell um die selbstbestimmte Gestaltung des Lucius-Burckhardt-Platzes kämpft. Adressatin ist auch hier die Unileitung.

Es brauche solche Strukturen für den Alltag, die den von Ausbeutung, Diskriminierung und Umweltzerstörung geprägten herrschenden Verhältnissen eine Alternative entgegensetzen können, erklärte Romy Freimuth. „Wir wollen uns organisieren und gegenseitig stärken, um gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten, in Kassel und anderswo. Ein politisch-kulturelles Zentrum wie “Unsere Villa” ist dabei unerlässlich.“

Kontakt-Adresse: unsere_villa@riseup.net
Link zum Instagram-Account: unsere_villa_ks

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“Unsere Villa” wieder geöffnet!

*English version below*

Hausbesetzung in Kassel

Eine Gruppe von Menschen hat am 15. Juni die Villa Rühl in der Mönchebergstraße in Kassel besetzt. Mit der Aktion soll in der Stadt wieder ein selbstorganisierter Freiraum entstehen, der Raum bietet für soziale, politische und kulturelle nicht-kommerzielle Initiativen.

„Auf diesem Gelände hat sich in den letzten fünf Jahren nichts getan“, kritisiert die Aktivistin Romy Freimuth. „Von ‚Nutzung’ kann gar keine Rede sein. Das wollen wir ändern, denn wir haben den Bedarf und die Ideen!“ Bereits vor fünf Jahren war die Villa Rühl für zwei Wochen besetzt worden, bis die Universität Kassel Strafanzeige stellte und das Gelände durch die Polizei räumen ließ. Damals hieß es, die Uni habe selbst einen hohen Platzbedarf und wolle die Räume bald umbauen und nutzen. Für die Forderungen der Aktivist*innen fühlte sich die Hochschulleitung nicht zuständig und verwies an die Stadtpolitik.

„Unsere Forderungen und Wünsche sind weiterhin aktuell“, so Romy Freimuth. Deshalb möchten die Besetzer*innen versuchen, möglichst bald mit der Uni über eine langfristige Nutzung des Geländes ins Gespräch zu kommen. „Wir brauchen in Kassel ein soziales Zentrum, einen Treffpunkt, an dem gemeinsam Themen diskutiert und Projekte realisiert werden können.“ Die Universität sei für die Besetzer*innen sehr wohl eine politische Akteurin. Der Konflikt um den Lucius-Burckhardt-Platz stehe beispielhaft für das destruktive Eingreifen in selbstorganisierte Projekte. Fernab ihres demokratischen Anspruchs sei die Uni mitverantwortlich für Aufwertung und die damit einhergehende Verdrängung in den von ihr dominierten Arealen.

Um dem etwas entgegenzusetzen, werde die Villa nun wieder zu einem Ort der Begegnung für die Kasseler Stadtteile Nordstadt und Wesertor. Romy Freimuth: “Uns ist wichtig, dass dieser Ort weder der Willkür von Eigentümer*innen unterworfen noch abhängig von der Gnade der Stadt ist.“ Statt Profitinteressen müssten in der Stadtentwicklung die Bedürfnisse der Einwohner*innen im Vordergrund stehen. „Das heißt für uns zum Beispiel, dass alle Menschen einen gleichberechtigten Zugang zur Villa haben, ohne Konsumzwang oder Mitgliedsbeiträge. Dieser Raum gehört uns allen und wir wollen ihn gemeinsam gestalten.“

Als erste konkrete Projekte möchtendie Besetzer*innen eine Küche für alle, einen Umsonstladen, nicht-kommerzielle Parties und Konzerte, Räume für Politgruppen und (Stadtteil-)Initiativen, Vorträge und (Nachbarschafts)Cafés organisieren.

„Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, wie dringend wir Orte des Zusammenkommens brauchen, an denen wir uns organisieren und solidarische Alternativen zum kriselnden System entwickeln können“, ergänzt Romy Feimuth. „Egal, ob es um Wohnraum, Gesundheitsversorgung oder kulturelle Teilhabe geht: Wir brauchen Strukturen für unseren Alltag, die uns unterstützen – nicht nur temporäre Prestige-Projekte während einer documenta.“

Aktuelle Informationen und die Grundsatzerklärung unter: villakassel.wordpress.com
Mail: unsere_villa@riseup.net
Kontakt für Presseanfragen:
0151 27924543


Squat in Kassel

“Our Villa” has opened again

A group of people squatted the Villa Rühl in the Mönchebergstraße in Kassel on XXX. The action is intended to re-establish a self-organized free space in the city that offers space for social, political and cultural non-commercial initiatives.

“Nothing has happened on this site in the last five years,” criticizes activist Romy Freimuth. “There is no question of ‘use’ at all. We want to change that, because we have the need and the ideas!” Already five years ago, the Villa had been squatted for two weeks until the University of Kassel filed a criminal complaint and had the police evict the area. At that time, it was said that the university had a high demand for space themselves and wanted to renovate and use the rooms soon. The university authorities did not feel responsible for the activists’ demands and referred them to the city’s politicians.

“Our demands and wishes are still current,” said Romy Freimuth. That’s why the squatters want to try to get into talks with the university about a long-term use of the site as soon as possible. “We need a social center in Kassel, a meeting space where topics can be discussed together and projects can be realized.”

The university is definitely a political actor for the squatters, they say. The conflict around Lucius-Burckhardt-Platz is an example of destructive intervention in self-organized projects. Far from its democratic claim, the university is jointly responsible for gentrification and the resulting displacement in the areas it dominates.

To counteract this, the villa will now once again become a meeting place for Kassel’s Nordstadt and Wesertor neighborhoods. Romy Freimuth: “It is important to us that this place is neither subject to the arbitrariness of owners* nor dependent on the mercy of the city.” Instead of profit interests, the needs of the residents* must be the focus of urban development, they say. “For us, that means, for example, that all people have equal access to the villa, without consumption pressure or membership fees. This space belongs to all of us and we want to design it together.”

As first concrete projects, the squatters would like to organize a kitchen for all, a free shop, non-commercial parties and concerts, spaces for political groups and (neighborhood) initiatives, lectures and (neighborhood) cafés.

“Especially the last few years have shown how urgently we need places to come together, where we can organize ourselves and develop solidarity-based alternatives to the struggling system,” adds Romy Freimuth. “Whether it’s housing, health care or cultural participation: we need structures for our everyday lives that support us – not just temporary prestige projects during a documenta.”

Current information and the policy statement at: villakassel.wordpress.com

Mail: unsere_villa@riseup.net

Press contact: 0151 27924543